Bei Entscheidungen in Organisationen: Wann kann man seiner Intuition vertrauen?
Können Sie Ihrer Intuition vertrauen, wenn es um richtungsweisende Entscheidungen in Organisationen geht? Oder anders gefragt: ist Intuition gut oder schlecht beim Treffen von Entscheidungen, die das (Arbeits)Leben von Menschen und die Geschicke einer Unternehmung betreffen?
Die einen sagen so, die anderen so. Für Gerd Gigerenzer, Professor für Psychologie und Direktor eines Max-Planck-Instituts bedeutet Intuition „Intelligenz des Unbewussten“, also eher etwas Gutes. Ein anderer Psychologe und Nobelpreisträger, Daniel Kahneman, bezeichnet Intuition indessen als „schnelles Denken“, das uns in die selektive Wahrnehmung treibt und so unseren Intellekt blockiert. Das ist beim Entscheiden eher schlecht.
Wer von den beiden Schlauköpfen hat nun recht?
Beide haben das!
Intuition und Bauchentscheidungen sind dasselbe: beide geschehen unbewusst und emotional
Beide haben recht? Das klingt ziemlich unlogisch. Doch es ist wahr; nur muss man zuvor noch etwas mehr über Intuition wissen.
Beginnen wir mit ihren „Decknamen“ – denn davon hat Intuition viele: Intuition aka gesunder Menschenverstand aka Bauchentscheidung aka Herzenssache aka unbewusste Expertenkompetenz aka Intelligenz des Unbewussten aka schnelles Denken, das alles ist aus wissenschaftlicher Sicht – wenn es um das Treffen von Entscheidungen geht – dasselbe
Für das alles gilt:
- Intuition ist unbewusst
- Intuition ist permanent (lässt sich nicht ausschalten)
- Intuition ist selektiv, basierend auf eigenen Erfahrungswerten
- Intuition ist durch Dritte manipulierbar
- Intuition ist voreingenommen
- Intuition ist emotional
„Intuition“ ist also ein permanentes, voreingenommenes, selektives Denken, das uns emotionalisiert ... und zudem durch Dritte manipulierbar ist, ohne dass uns das bewusst wäre.
Wir können intuitiv richtig liegen - oder falsch. Wir sollten es herausfinden, BEVOR wir entscheiden.
Jeder nimmt intuitiv anders wahr. Deshalb ist Intuition die Mutter aller Missverständnisse.
Hinzu kommt: jeder Mensch nimmt intuitiv anders wahr, d.h. jeder filtert andere Informationen und gelangt deshalb unbewusst zu anderen Schlüssen. Dies gilt insbesondere bei unterschiedlichen Erfahrungswerten, wie sie in unserer hochspezialisierten Welt üblich sind. Denn unterschiedliche Experten besitzen natürlicherweise unterschiedliche Perspektiven, und unterschiedliche Perspektiven führen natürlicherweise zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Wenn diese Schlussfolgerungen allerdings unbewusst bleiben, ist dies ein unausgesprochenes Missverständnis. Oder noch schlimmer: Es ist die Illusion gemeinsamen Verstehens! Dieser Mangel an gemeinsamem Verständnis ist ein Hauptgrund, warum wir uns so oft ins Wort fallen. Diese Illusion des Verstehens ist ein Grund für hitzige Meetings und unproduktive Diskussionen.
Intuition kann ein guter Ratgeber sein - wenn man sie BEWUSST einsetzt.
Das alles klingt jetzt nicht so, als sei Intuition ein guter Ratgeber, oder? Stimmt, denn intuitives Entscheiden von komplexen organisationalen Angelegenheiten birgt zahlreiche Risiken. Tatsächlich KANN Intuition aber ein guter Ratgeber sein.
Gemäß Daniel Kahneman ist dies dann der Fall,
1) wenn man sich in einer bekannten, sehr vertrauten Situation befindet (Merke: Intuition führt nur im Bekannten zu verlässlich guten Ergebnissen – in absoluter Routine),
2) wenn man auf hunderte und tausende von Erfahrungswerten zurückgreifen kann, die in ähnlichen Situationen gewonnen wurden (Merke: gute Intuition braucht Meisterschaft – gewonnen durch Übung, Übung, Übung),
3) Wenn man alleine agiert oder – falls in einer Gruppe – für alle anderen ebenfalls die Bedingungen (1) und (2) erfüllt sind.
Finden Sie heraus, ob Sie intuitiv vorgehen können oder besser in einen anderen Denkmodus schalten.
Vorsicht! Die Checkliste nicht intuitiv beantworten ;)
Unser Buch "Hey, nicht so schnell!" bietet hilfreiche Tools
Nur falls alle drei Bedingungen erfüllt sind, ist Intuition gleichbedeutend mit „unbewusster Kompetenz“. Ist nur einer der drei Punkte nicht erfüllt, besteht die Gefahr „unbewusster Inkompetenz“ mit entsprechend negativen Konsequenzen. Siehe das Modell der 4-Stages of Competence von Noel Burch.
Zu guter Letzt noch ein äußerst wichtiger Punkt: es ist im konkreten Anwendungsfall – etwa vor dem Beginn eines Entscheidungsprozesses – überhaupt nicht einfach die o.g. drei Punkte zutreffend einzuschätzen. Denn auch hier agieren wir intuitiv – und neigen dazu, unsere eigenen Stärken zu überschätzen und andere Dinge zu übersehen. Diese angeborene Naivität, die jeder Mensch in sich trägt, führt uns womöglich zu den folgenden Fehleinschätzungen:
1) Die vorliegende Situation ist nur scheinbar bekannt (in einer komplexen Welt sind die Dinge oftmals anders als sie auf den ersten Blick scheinen).
2) Man ist doch nicht so erfahren, wie man sich das einbildet (hat man wirkliche Meisterschaft auf einem Gebiet erlangt – wie sagen wir Bruce Lee?).
3) Man schließt (unbewusst) von sich auf andere (nur weil eine Situation einem selbst bekannt ist, muss das noch lange nicht für alle anderen gelten).
Die gute Nachricht: man muss nicht über die Kräfte des Jedi-Meisters Yoda verfügen, um diese Fehlannahmen zu vermeiden. In unserem Buch „Hey, nicht so schnell!“ stellen wir weltliche Tools vor, die einem die „Kraft guter Führung“ verleihen. Damit Sie sich auf die gute Seite Ihrer Intuition verlassen können – gerade unter dem üblichen Zeit- und Handlungsdruck.
Wir bieten Workshops zum Thema
Auf der Startseite stehen die jeweils aktuellen offenen Angebote. Und unsere viel gelobten in-house Seminare gibt es auf Anfrage an hello(at)overthefece.com.deZum Weiterlesen:
- Gigerenzer, Gerd: Bauchentscheidungen - Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, Bertelsmann-Verlag, 2007.- Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, Langsames Denken, Siedler-Verlag, 2012.
- Habermann, Frank; Schmidt, Karen: Hey, nicht so schnell! Wie du durch langsames Denken in komplexen Zeiten zu guten Entscheidungen gelangst Gabal-Verlag, 2021.
Bildnachweis:
- Yoda (Titelfoto): Fotolia (c)- Donald Trump: Habermann/Schmidt, Hey, nicht so schnell!, Offenbach 2021, S. 81
- Checkliste: eigene Darstellung
Autor: Frank Habermann